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Mit Billigtickets in den Ruin

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– Mindestens 33 Prozent Marktanteil für Low Cost
Airlines im Jahr 2010
– Trotz kräftigen Wachstums weitere Konsolidierung der Branche
– Noch in diesem Winter droht vielen Billigfliegern das Aus
– Zukunft der Chartergesellschaften ungewiss
– Netzwerk-Carrier müssen ihr Geschäftsmodell überdenken

Trotz kräftigen Wachstums des Billigflieger-Markts droht vielen
Low Cost Airlines noch in diesem Winter der Konkurs. Die Gewinner
sind Ryanair und easyJet, die den Markt künftig noch stärker
dominieren. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Entwicklung
der europäischen Airline-Industrie“ von Mercer Management Consulting.
Sie zeigt, dass die europäischen Low Cost Airlines in den letzten
Jahren noch schneller gewachsen sind, als viele Experten vermutet
hatten: 19 Prozent des Passagiervolumens im Luftverkehr entfallen
bereits heute auf Low Cost Airlines, und bis zum Jahr 2010 werden es
mindestens 33 Prozent sein. Charterfluggesellschaften sind durch die
Billigflieger am stärksten bedroht. Aber auch die großen
Netzwerk-Airlines wie Lufthansa, Air France/KLM und British Airways
müssen auf den Billig-Wettbewerb reagieren. Sie werden sich stärker
über ihr hochwertiges Angebot positionieren und gleichzeitig die
Kosten im Griff behalten müssen. Kleinere europäische Airlines haben
nur als kostengünstige Partner der großen Allianzen eine Zukunft –
auf dezentralen Strecken oder als Zubringer zu den großen
Flugverkehrsdrehscheiben. Viele werden ihre Eigenständigkeit
verlieren oder vom Markt verschwinden.

Nach aktuellen Schätzungen der International Air Transport
Association (IATA), dem Weltverband der Fluggesellschaften, wird die
Airline-Industrie in diesem Jahr weltweit etwa fünf Milliarden
US-Dollar Verlust machen. Damit summieren sich die Verluste der
Fluggesellschaften seit dem 11. September 2001 auf mehr als 25
Milliarden US-Dollar. Weltweit gelang es in den letzten vier Jahren
nur wenigen Fluggesellschaften, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften.
Dazu gehörten vor allem Low Cost Airlines. In Europa hat sich ihr
Marktanteil seit 2000 von fünf Prozent auf 19 Prozent nahezu
vervierfacht. Die Mercer-Studie ergibt, dass im Jahr 2010 jedes
dritte Ticket in Europa auf einen Billigflieger ausgestellt sein
wird. Während der Markt im Jahr 2000 mit zwölf Anbietern noch
überschaubar war, gab es im Sommer 2004 schon 54 Low Cost Airlines in
Europa.

„Die Krisen der letzten Jahre und die vermeintlich guten
Erfolgsaussichten des Low-Cost-Modells wirkten wie ein ‚Brutkasten‘
für neue Billigfluglinien und haben die Entwicklung stark
beschleunigt“, kommentiert Dieter Schneiderbauer, Leiter der Travel &
Transport-Practice von Mercer Management Consulting. Der Markt hat
sich mit der Etablierung der Low Cost Airlines verändert und teilt
sich heute in vier Anbietergruppen: die Low Cost Airlines
(insbesondere Ryanair, easyJet und Air Berlin), die Charterfluglinien
(Britannia, Condor, Hapag Lloyd und LTU), die großen internationalen
Fluggesellschaften (Lufthansa, British Airways und Air France/KLM)
sowie kleinere Netzwerk-Carrier (wie AerLingus, Alitalia, Swiss,
Austrian Airlines und Eurowings).

Billigtickets sind kein Erfolgsgarant

Initiatoren und Gewinner der Low-Cost-Entwicklung in Europa sind
die beiden größten Anbieter Ryanair und easyJet, die mehr als die
Hälfte des Low-Cost-Markts auf sich vereinen. Ihre starke
Marktposition verdanken sie ihrem „First Mover“-Vorteil und ihrer
konsequenten Orientierung am „No frills“-Prinzip – keine
überflüssigen Leistungen. Die Zeiten sind jedoch auch für Low Cost
Airlines schwieriger geworden: Zunehmender Wettbewerb innerhalb
dieses Sektors hat die Ticketpreise der Marktführer seit dem Jahr
2000 um rund 20 Prozent sinken lassen. Der Einstieg und das Überleben
neuer Low Cost Airlines wird einerseits erschwert durch die Markt-
und Markendominanz – insbesondere von Ryanair und easyJet;
andererseits durch die herausragende Kostenposition von Ryanair, die
selbst bei einem durchschnittlichen Ticketpreis von etwa 40 Euro noch
eine Umsatzrendite von über 20 Prozent ermöglicht. Ungeachtet der
verlockenden Billigangebote zu 29, 19 oder sogar neun Euro auf allen
Strecken produzieren die meisten so genannten Billigfluglinien Kosten
von etwa 80 bis 90 Euro je angebotenem Sitzplatz. „Das kann auf Dauer
nicht gut gehen. Wir erwarten eine starke Konsolidierung im
Low-Cost-Segment. Im Jahr 2010 wird dieses Marktsegment von drei bis
vier großen Low Cost Airlines dominiert werden. Kleine Anbieter
werden allenfalls in Nischen eine Chance haben“, so Schneiderbauer.

Die Konsolidierung wird aber nicht erst mittelfristig stattfinden,
sondern hat bereits begonnen: In diesem Herbst sind die Kosten der
meisten Low Cost Airlines durch den hohen Ölpreis um mehr als zehn
Prozent gestiegen. „Dieser unerwartete Anstieg und die in den
Wintermonaten sehr niedrige Auslastung dürften so manchen Business
Plan obsolet werden lassen“, prophezeit Dieter Schneiderbauer. „Nicht
nur Billigfluglinien sind bedroht, sondern auch einige kleine
nationale Fluggesellschaften und Regionalfluglinien“. Nach dem
Konkurs von V-Bird (Deutschland), Volare (Italien) und nun Air
Polonia sowie der Rückintegration von Basiq Air in die
niederländische Chartergesellschaft Transavia rechnet der
Airline-Experte mit weiteren Unternehmenszusammenbrüchen in diesem
Winter. Ryanair war bis November 2004 gegen höhere Treibstoffkosten
versichert und verzichtet bei dem aktuell sehr hohen Ölpreisniveau
auf weitere Absicherungen. Kleinere Low Cost Airlines, die in den
letzten zwölf bis 24 Monaten den Betrieb aufgenommen haben, waren
bislang nicht oder nur zu einem geringen Teil gegen höhere
Treibstoffkosten abgesichert. Die Mehrzahl der Low Cost Airlines hat
in den vergangenen zwei Jahren keine Gewinne erwirtschaftet. Es
verwundert nicht, dass Ryanair-Chef O’Leary die aktuellen
Entwicklungen relativ gelassen beobachtet: Je höher der Ölpreis
steigt, desto schneller werden seine Wettbewerber aus dem Markt
ausscheiden.

Charterfluggesellschaften müssen den Wettbewerb suchen

Charterfluggesellschaften mussten aufgrund der Reiseflaute in den
letzten Jahren einen starken Rückgang der Passagierzahlen verkraften,
sodass insbesondere unabhängige Charter-Airlines wie Air Berlin,
Germania oder Volare ihr Glück im Low-Cost-Segment suchten und dort
den Wettbewerb anheizten. Im Gegensatz zu den in Touristikkonzerne
integrierten Gesellschaften Hapag Lloyd, Condor oder Britannia haben
unabhängige Charter-Airlines keine Auslastungssicherheit und stehen
im Einzelplatzverkauf in direktem Wettbewerb zu Low Cost Airlines –
eine Position mit wenig Aussicht auf Erfolg. Daher ist zu erwarten,
dass insbesondere die freien Charter-Airlines künftig unter
wachsenden Druck geraten und aus dem Markt verschwinden. „Der Weg von
Air Berlin, sich zu einem echten Low Cost Carrier zu wandeln und die
Kosten signifikant zu reduzieren, ist der einzige Ausweg“, sagt
Schneiderbauer. „Voraussetzung ist, die Kosten je angebotenem Sitz
auf unter 60 Euro zu drücken.“ So können Charter-Airlines zumindest
auf den „touristischen Rennstrecken“ dauerhaft mit Ryanair und
anderen Low Cost Airlines konkurrieren.

Nationale Fluggesellschaften sollten zu Allianz-Partnern werden

In Europa dominieren drei „Network-Carrier“ den Markt: Lufthansa,
British Airways und Air France/KLM. Als europäische Führer der großen
weltweiten Airline-Allianzen prägen sie das Branchengeschehen in
Europa. Mit ihrem Produktangebot sind diese Unternehmen gut im Markt
positioniert, befinden sich in einer vergleichsweise soliden
Finanzsituation, verfügen über ein dichtes europäisches Liniennetz
und einen hohen Anteil an Interkontinental-Verbindungen, die sie
weniger anfällig gegen Angriffe von Low-Cost-Wettbewerbern machen.

Kleinere nationale oder regionale Fluggesellschaften wie
AerLingus, Alitalia, British Midland, Olympic, Swiss oder Austrian
müssen befürchten, zwischen den großen Network-Carriern auf der einen
und den Low Cost Airlines auf der anderen Seite im
Verdrängungswettbewerb zerrieben zu werden. Mit ihren auf Europa
fokussierten Verbindungen stehen diese Fluggesellschaften in direktem
Preis-Wettbewerb mit den Low Cost Airlines, ohne den Kunden die
Vorteile eines dichten globalen Netzwerks bieten zu können. Das
Beispiel von Ansett Australia zeigt, wie sich das Auftauchen der Low
Cost Airlines auf solche Carrier auswirken kann: Trotz eines harten
Wettbewerbs mit der dominierenden Fluglinie Quantas hielt sich Ansett
im australischen Markt. Ab Sommer 2000 musste sich das Unternehmen
jedoch zusätzlich mit dem Low-Cost-Wettbewerber Virgin Blue
auseinandersetzen. Zwei Jahre darauf stellte Ansett seinen Betrieb
ein. Bei den meisten kleineren Fluggesellschaften in Europa
entwickelt sich der Gewinn unbefriedigend, zudem sind sie strategisch
ungünstig im Markt positioniert. Gleichzeitig bestehen im
Luftverkehrsmarkt heute weltweite Überkapazitäten von etwa 30
Prozent. Mit einer weiteren Konsolidierung insbesondere im Segment
der nationalen und regionalen Carrier ist daher zu rechnen. Der
Ausweg liegt in Kosteneinsparungen und einer strategischen
Neuausrichtung. Mercer-Berater Schneiderbauer: „Aer Lingus hat es
vorgemacht: Kleinere Fluggesellschaften müssen ihre Kosten radikal
reduzieren und sich gleichzeitig als Partner für dezentrale Strecken
und Hub-Zubringer in eine Allianz integrieren. Das Modell der kleinen
nationalen Fluggesellschaft, die als ‚Allround‘-Anbieter mit einem
eigenen europäischen und interkontinentalen Netzwerk alle
Kundengruppen bedient, ist überholt.“

Erfolgsmodelle für klassische Netzwerk-Airlines

Die drei führenden Netzwerk-Airlines können aus dem Wachstum der
Low Cost Airlines lernen: Insbesondere sollten sie ihr Angebot auf
qualitätssensitive Geschäfts- und Privatreisende ausrichten, denen
Premium-Produkte und ein dichtes globales Netz wichtig sind. Um das
Bedrohungspotenzial durch Low Cost Airlines im innereuropäischen
Verkehr zu verringern, müssen auch die großen Airlines ihre
Kostendifferenz zu den Billig-Wettbewerbern reduzieren. Erste Ansätze
werden bereits verfolgt, zum Beispiel durch mehr
Punkt-zu-Punkt-Verbindungen und kürzere Standzeiten der Flugzeuge am
Boden, durch eine stärkere Homogenisierung der Flotte oder die
drastische Senkung der Vertriebskosten. Auf einigen Strecken ist ein
direkter Wettbewerb zwischen Low Cost- und Netzwerk-Airline nicht
sinnvoll, zum Beispiel auf dezentralen Strecken ohne Anbindung an
einen großen Drehscheiben-Flughafen oder auf Strecken mit hohem
Anteil Privat- und Urlaubsreisender. Solche Routen können durch
kostengünstigere Partner oder Tochtergesellschaften im
Low-Cost-Format bedient werden.

Durch die Verbreitung der Low Cost Airlines hat sich der Markt auf
der Kundenseite stärker segmentiert. „Die klassischen
Netzwerk-Airlines müssen zunächst akzeptieren, dass sie nicht mehr
für jeden Kunden und für jeden Anlass die richtige Wahl sind und auch
nicht sein können“, so Alexander Neuhaus, Mitautor der Mercer-Studie.
„Wichtig ist, dass die Fluggesellschaften in jedem Segment ihr
Produkt, ihr Netzwerk, ihren Marktauftritt und die Preisgestaltung
konsequent auf ihre Zielkunden ausrichten.“ Vier zentrale Trends
zur Entwicklung der europäischen Luftfahrtindustrie

1. Wenige Low Cost Airlines dominieren

Die Low Cost Airlines werden ihren Marktanteil bis 2010 auf 33
Prozent steigern. Das Low-Cost-Modell ist aber kein Erfolgsgarant.
Viele Anbieter werden ausscheiden, und drei bis vier Anbieter werden
den Markt dominieren.

2. Führende Netzwerk-Airlines

Die drei führenden Fluggesellschaften Air France/KLM, British
Airways und Lufthansa sind im Markt klar positioniert und spielen als
Allianzführer eine prägende Rolle in der künftigen
Branchenentwicklung.

3. Traditionelle Linienfluggesellschaften unter Kostendruck

Kleinere Linienfluggesellschaften stehen unter hohem
Konsolidierungsdruck. Langfristig werden nur diejenigen überleben,
die ihre Kosten annähernd auf das Niveau der Low Cost Airlines
senken.

4. Charter-Airlines im Wettbewerb

Charter-Airlines stehen im direkten Wettbewerb zu Low Cost
Airlines. Als „reine“ Charter-Airline können nur in Touristikkonzerne
integrierte Gesellschaften überleben. Andere wandeln sich entweder
erfolgreich zur Billigfluglinie oder scheiden aus dem Markt aus.

www.mercermc.de