Start News RUB-Studie: Expatriates in der Chemiebranche

RUB-Studie: Expatriates in der Chemiebranche

80

Der internationale, vollmobile Manager ist mehr Mythos als Realität – zumindest in der Chemiebranche, die zu den international aktivsten in Deutschland zählt. Das fanden Forscher um Prof. Dr. Heiner Minssen vom Institut für Arbeitswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum heraus. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersuchten sie die Auslandsentsendungen in der deutschen chemischen Industrie. Nur 16 Prozent der Unternehmen schicken überhaupt Mitarbeit für längere Zeit ins Ausland. Die Ergebnisse der Studie sind vor kurzem unter dem Titel „Bindung und Entgrenzung“ als Buch erschienen (Rainer Hampp Verlag).

Unternehmen befragt, Expatriates interviewt

In Zeiten der Globalisierung kursiert ein Bild von Managern, demzufolge sie auf der Welt zuhause sind und ihren Geschäften in unterschiedlichen Ländern oder gar Kontinenten nachgehen. Auslandsaufenthalte gelten als selbstverständlich und wenig problematisch, familiäre Anforderungen spielen keine Rolle. Dass dieses Bild der so genannten Expatriates ein Zerrbild ist, ergab eine schriftliche Befragung von rund 1.300 Unternehmen der chemischen Industrie in Deutschland. Zusätzlich interviewten die Bochumer Forscher Personalverantwortliche und Expatriates – das sind Manager, die mindestens zwei Jahre im Ausland tätig waren oder noch sind. Daraus entstanden ist eine „Soziologie international tätiger Manager“.

Gängig: die Dienstreise

Jedes fünfte Chemieunternehmen weist überhaupt keine internationalen Aktivitäten auf; sie konzentrieren sich ausschließlich auf den heimischen Markt. Von den international aktiven Unternehmen wiederum entsenden nur 16 Prozent Mitarbeiter für längere Zeit ins Ausland. Die Dienstreise mit einer Rückkehr am Wochenende ist nach wie vor das bevorzugte Instrument für internationale Aktivitäten. Das Ausmaß von Auslandsentsendungen hängt deutlich ab von der Betriebsgröße. Die Chemieindustrie ist – wie viele andere Branchen auch – von Klein- und Mittelbetrieben geprägt. Auch sie schicken Mitarbeiter ins Ausland, aber sie beschäftigen Expatriates erheblich seltener als große Firmen. „Es entsteht ein schiefes Bild, wenn man, was der Regelfall ist, aus der Situation von Managern in Großunternehmen auf die Situation von Managern generell schließt“, so Prof. Heiner Minssen.

Intuition, Eigeninitiative und Zufall

Expatriates gehören zu den teuersten Angestellten eines Unternehmens. Deswegen sollten sie besonders sorgfältig ausgewählt werden. Dies ist aber branchenweit nicht der Fall: „Die Unternehmen – kleine wie große – prüfen kaum, ob die Kandidaten die Kriterien für eine Auslandsentsendung auch tatsächlich erfüllen“, so Minssen. Die Mehrheit der Expatriates wird in der Regel das erste Mal ins Ausland entsandt, nachdem sie bereits einige Jahre in ihrem Unternehmen gearbeitet haben. Die Personalverantwortlichen kennen die Bewerber, so dass aufwändige Auswahlprozeduren entfallen. Ein entscheidender Faktor ist die Selbstbewerbung. Zukünftige Expatriates bringen sich selbst als Kandidaten für eine Auslandsentsendung ins Spiel; sie machen ihren Wunsch gegenüber ihren Vorgesetzten immer wieder deutlich. Der Auswahlprozess von Expatriates erfolgt so in einer Mischung aus Intuition der Entscheider und Eigeninitiative der Mitarbeiter. Dies geht einher mit einem hohen Maß an Zufälligkeit – sowohl was den Zeitpunkt wie auch das Ziel der Auslandsentsendung betrifft. „Das Personalmanagement ist in vielen Unternehmen recht unterentwickelt“, sagt Minssen, „aber das ist kein großes Problem. Die Möglichkeiten von Personalplanung und Personalentwicklung werden ohnehin überschätzt und bisher sind die Unternehmen mit ihren intuitiven Personalentscheidungen für Auslandsentsendungen auch ganz gut gefahren.“

Kein Karriereschub durch Auslandsaufenthalt

Expatriates wollen ins Ausland, wobei neben Abenteuerlust auch Karriereerwartungen eine Rolle spielen. Sie verstehen unter Karriere aber oftmals nicht den Sprung auf der Karriereleiter, sondern sie gehen ins Ausland, weil sie dort in der Regel einen deutlich vergrößerten Aufgabenbereich und mehr Verantwortung haben und in diesem Sinne „Karriere“ machen. Mit Ausnahme der Expatriates aus den – wenigen – Unternehmen, in denen die Führungskräfteentwicklung auch Auslandsaufenthalte vorsieht, verknüpfen die Manager ihre Tätigkeit im Ausland nur selten mit der Erwartung auf einen nachfolgenden Aufstieg auf der Karriereleiter. „Das ist gut so, weil sie nach der Rückkehr oftmals wieder einen Job auf der Hierarchieebene bekommen, den sie auch schon vor der Entsendung gehabt haben“, sagt Prof. Minssen. Auslandsentsendungen führen keineswegs zu einem Karriereschub; manchmal entstehen sogar Nachteile, weil in der Zwischenzeit die daheim gebliebenen Kollegen sich weiter nach oben gearbeitet haben.

Bindungen sind entscheidend

Die Interviews der Bochumer Forscher mit Expatriates zeigen: Der Unterschied zwischen der Arbeitssituation nach der Rückkehr und der im Ausland mit ihrem viel größeren Entscheidungsspielraum kann Enttäuschungen hervorrufen, doch die Manager nehmen das nicht zum Anlass, das Unternehmen zu wechseln. „Sie sind Firmenmenschen, die ihrem Unternehmen treu bleiben“, erläutert Minssen – trotz und wohl auch wegen ihrer internationalen Erfahrungen. Denn Auslandsaufenthalte sind mit vielen ungewohnten Situationen verbunden, zu deren Bewältigung ein Ankerpunkt gehört: das Heimatunternehmen oder auch die Familienangehörigen, die oftmals mit ausreisen. „Bindungen sind für Manager, die längere Zeit im Ausland arbeiten, außerordentlich wichtig“, so Minssen. „Vermutlich auch deswegen sind ihre Scheidungsraten weit unterdurchschnittlich.“

Minssen, Heiner: Bindung und Entgrenzung. Eine Soziologie international tätiger Manager.

Rainer Hampp Verlag, München/Mering 2009

14,80 Euro, ISBN: 978-3-86618-376-6