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Rund 72 Prozent der betroffenen Passagiere verlieren Entschädigungsanspruch

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Die EU-Kommission arbeitet an der Revision der europäischen Fluggastrechteverordnung 261/2004, die seit dem Jahr 2005 die Rechte und Ausgleichsansprüche der Passagiere gegenüber den Fluggesellschaften regelt. Ein Großteil der geplanten Änderungen führt zu einer deutlichen Verschlechterung der Fluggastrechte. Die deutsche Bundesregierung begrüßt und unterstützt das Vorhaben der Kommission. Die European Passengers‘ Federation (EPF) stellt die wichtigsten Punkte und ihre Auswirkungen für Passagiere vor.

Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung

Nach heute geltender Rechtslage auf Basis der aktuell gültigen Fassung der Fluggastrechteverordnung Nr. 261/2004 erhalten Flugreisende, die drei Stunden und später an Ihrem Endziel ankommen, einen Anspruch auf Entschädigung.
Für die Zukunft strebt die Europäische Kommission eine Unterteilung in inner- und außereuropäische Flüge an. So soll bei Flügen innerhalb der Europäischen Union ein Anspruch einheitlich erst nach fünf Stunden Verspätung entstehen. Außereuropäisch ist die gestaffelte Anhebung der entschädigungsbegründenden Verspätung geplant: Bei Entfernungen von weniger als 3.500 Kilometern muss sie mindestens fünf Stunden betragen, bei Entfernungen zwischen 3.500 und 6.000 Kilometern liegt die Verspätungsgrenze bei neun Stunden und bei Flügen von mehr als 6.000 Kilometern schließlich bei mehr als 12 Stunden. „Die massive Verlängerung der zu tolerierenden Wartezeiten geht stark zu Lasten der Passagiere. Auf Langstreckenflügen sollen Fluggäste künftig viermal länger warten als bisher, bis sie Anspruch auf eine Ausgleichsleistung haben. Hier muss die Kommission dringend nachbessern, um das selbstformulierte Ziel der Stärkung der Fluggastrechte zu erreichen“, erläutert Josef Schneider von der European Passengers‘ Federation.

Verspätung auf der Rollbahn

Sobald ein Flugzeug losrollt, werten Airlines einen Flug heute häufig als gestartet. Immer wieder entstehen somit lange Wartezeiten auf der Rollbahn, bevor das Flugzeug tatsächlich abhebt. Ein konkreter gesetzlicher Rahmen, wie lange Fluggesellschaften ihre Passagiere auf der Rollbahn warten lassen dürfen, fehlte bislang. Hier kam das jeweilige nationale Recht zur Anwendung.
Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollen Airlines Passagiere künftig bis zu fünf Stunden im Flugzeug warten lassen können. Auch im internationalen Vergleich bedeutet der Vorschlag eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste (zum Vergleich: in den USA gelten inneramerikanisch drei und international vier Stunden).

Begriffsbestimmung „Außergewöhnliche Umstände“

Außergewöhnliche Umstände entbinden Fluggesellschaften von ihrer Ausgleichspflicht. Nach der aktuell gültigen Verordnung zählen dazu nur wenige besondere Vorkommnisse – beispielsweise extreme Wetterbedingungen, Streiks der Piloten oder Fluglotsen sowie eine Flughafenschließung aus Sicherheitsgründen. Technische Defekte wiederum sind grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände. Sie gehören zum normalen Betriebsrisiko einer Airline und sind daher von dieser beim Betriebsablauf mit einzuplanen.

Der Kommissionsvorschlag enthält jetzt eine Aufweichung des bisherigen Rechts: Technische Defekte, die während des Fluges auftreten, sollen nach dem Willen der Kommission künftig ebenfalls außergewöhnliche Umstände sein. Der Kommissionsvorschlag weicht damit weit von der bestehenden Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ab. So fördert die Kommission die Kollision von wirtschaftlichen Überlegungen und sicherheitsrelevanten Fragen bei den Fluggesellschaften. Der Fluggast trägt das normale Betriebsrisiko des befördernden Luftfahrunternehmens.

Verkürzung der Frist zur Einforderung der Passagierrechte

Bisher enthält die Verordnung keine zeitliche Begrenzung zur Durchsetzung der Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung – der Zeitraum richtet sich nach nationalem Recht. So gilt in Deutschland die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren. Dabei beginnt die Frist erst mit Ende des Kalenderjahres, in dem es zum entschädigungspflichtigen Ereignis kam.
Die Neufassung sieht hingegen vor, dass der Passagier seine ihm zustehenden Rechte künftig spätestens drei Monate nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Fluges beim entsprechenden Luftfahrtunternehmen einreichen muss. Betroffene Passagiere sollen somit deutlich weniger Zeit haben, um ihre Rechte einzufordern, denn nach Ablauf der Frist ist die Geltendmachung ihrer Ansprüche ausgeschlossen.



Freiwillige Vereinbarungen
Ansprüche auf Entschädigung sind nach heutiger Rechtslage in der Regel nur durch Zahlung der Entschädigung erfüllbar.
In den neuen Entwurf der Verordnung hat die Kommission eine Regelung mit aufgenommen, nach der es Fluggesellschaften erlaubt sein soll, mit Flugreisenden eine Vereinbarung zu schließen, die die Ausgleichspflicht komplett zu ersetzten vermag. Zwar ist die Fluggesellschaft angehalten, den Passagier über seine Rechte auf einen Ausgleichsanspruch aufzuklären. Doch angesichts der Informationshoheit der Fluggesellschaft über die Gründe einer Annullierung oder einer Verspätung kann der Fluggast nicht absehen, ob eine solche Vereinbarung wirtschaftlich Sinn macht.

„Der überwiegende Teil der geplanten Änderungen geht zu Lasten der Passagiere. Setzen sich die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung mit ihren Änderungen durch, gehen rund 72 Prozent der Passagiere, die derzeit Entschädigungen fordern können, künftig leer aus. Es kommt also zu einer massiven Verschlechterung der Fluggastrechte, weswegen wir grundlegende Nachbesserungen fordern“, fasst Josef Schneider die geplante Revision zusammen.